Weihnachtsgeschichte 2018
Großväterchen Frost auf Besuch im Erzgebirge
Teil 1
Lied: Weihnachts-Oratorium (Fan-Video auf Youtube)
Endlich war es wieder so weit. Weihnachten stand vor der Tür, und obwohl die Wetterberichte pessimistisch trübes, regennasses Wetter über die Feiertage prophezeit hatten, fing es am späten Nachmittag des 24. Dezember im Erzgebirge wie toll an zu schneien.
Lied: Es ist ein Schnee gefallen
Wegen der lang anhaltenden Regierungskrise in Deutschland, dem Anschlag am 31. Oktober in Wittenberg und der katastrophalen aktuellen Lage im Heiligen Land war es St. Nikolaus dieses Jahr leider nicht möglich, nach Deutschland einzureisen. In aller letzter Minute gelang es ihm noch, seinen alten Berufskollegen Djed Moros in der Taiga jenseits des Urals per Himmelsbote ausfindig zu machen, um ihn darum zu bitten, ihn zu Weihnachten im Erzgebirge als Gabenbringer für die ganz speziellen Problemfälle zu vertreten.
So kam es, dass sich Djed Moros in der Nacht vom 23. zum 24. Dezember mit seinem Weihnachtsschlitten auf den Weg nach dem Westen aufmachte. Wegen des (von der NATO unterstützten) ukrainischen Angriffskrieges im Donbass war er jedoch gezwungen, die viel längere Nordroute zu wählen.
Lied: Krim-Ballade (Fan-Video auf Youtube)
Ohne größere Probleme führte die Schlittenreise des russischen Weihnachtsmanns über Belarus und Polen bis nach Sachsen. Nun tauchten vor ihm die tief verschneiten Hänge des Erzgebirges auf. Er hatte es also gerade noch einmal rechtzeitg geschafft.
Kurz nach Hartenstein musste er an einer Schranke an einem kleinen Waldweg Halt machen. Linker Hand gab es ein Wächterhäuschen, dessen kleines Fenster mit geklöppelten Gardinen stilvoll verhüllt war. Rechter Hand war auf einem blauen Schild ein goldener Weihnachtsbaum mit Kerzen abgebildet. "Freie Republik Erzgebirge" war darunter in altdeutschen Lettern zu lesen.
Sketch
(Großväterchen Frost): "Was soll denn das bedeuten? Hier gab es doch seit Wismutzeiten keinen Grenzposten mehr. Wird wohl bloß ein böser Scherz sein – und wie es scheint, ist auch gar niemand zu Hause."
Doch Djed Moros hatte sich geirrt. Als er gerade dabei war, das rand-fichtene Verkehrshindernis zur Seite zu räumen, stürzten plötzlich zwei Uniformierte um die Ecke.
(Grenzer): "Passport, towarischtsch",
(Zöllner): "Dos kennt Ihne wuhl su passen. Aber hier kimmt fei kaaner uhne grindliche Kuntrulle durch. Wus hammer däh ze verzulln, he?"
Die beiden vermeintlichen Zöllner machten sich über die Geschenksäcke auf dem Schlitten her, während Großväterchen Frost gute Miene zu bösem Spiel machte.
(Zöllner): "Kaa Schnaps, kaane Zigarretten, ner Weihnachtsgerimpel, ich glaab, den kemmer durchlossn. Wu wulln se de ieberhaupt su eilig hie zim Heilign Obnd?"
(Großväterchen Frost): "Nun, zuerst einmal nach Schneeberg, dann nach Schwarzenberg und zuletzt noch hinauf bis nach Johanngeorgenstadt."
(Zöllner): "Des sei ja mindestens nuch drei vier Grenzn. Also - Schneebarg, des lessn se lieber glei mol rachts liegn. Dort ham namlich grod de Pegida-Separatisten geputscht. Un ob se dann su spät obnd nuch ieber de Mulle komme, kaa ich Ihne aah net garantiern. Is Öbere Arzgebirg hat sich nämlich grod vun uns ogespalten. Fortaa gibt's desertwaagn glei zwee Teilrepubliken: des Arzgebirg diesseits drr Mulde, in des sie gerad Eilass begehrn, un des Arzgebirg jenseits dr Mulde, dess …"
(Grenzer): "Sie meinen die Teilrepubliken West- und Oberes Erzgebirge. Wir haben uns nämlich vorige Woche abspalten müssen, da die Westerzgebirger hartnäckig behaupten, ihr Auersberg wäre höher als unser Fichtelberg."
(Zöllner): "Des is aah su, nämlich wagn dr Erdkrimmung".
(Grenzer): "Blödsinn, du hast höchsten eine Krümmung in deinem Gehirn."
(Zöllner): "Des less ich mir net gefalln. Do muss ich duch glei mol unnere neie Hymne astimme."
West- und integrierte Ober-Erzgebirgs-Hymne
(gemeinsam gegrölt mit einigen kleinen bedeutsamen Abweichungen des erbost zuhörenden Obererzgebirgers)
Westerzgebirge: Weise nach Joseph Haydn
Obererzgebirge: Weise nach Hans Eisler
1
Spackfettbemm un Klees un Frazn,
Fier mei Haamit, die is schie.
Woll mr uns aah raacht ergetzn,
Alle Obnd bis in de Frieh.
Vun dr Zschorl bis in de Bucke,
Vun dr Zweentz bis Stitzengrieh
|: Westarzgebirg, ich gab dr alles.
Gab mr wirklich greßte Mieh. :| (2x)
Saure Flaack und Supp aus Neidorf,
Ficker Schnaps und Fiedler Bier.
Nischt soll unnern Leib entweihen,
saufen, frassen tun mr hier.
Vum Grenzbach giehts weit nunner,
wu sich Zschop und Sehm vermähln.
|: Oberarzgebirch, du bist alles,
Pantheon der ganzen Welt :| (2x)
2
Unnre Schwamme sei de besten,
Unnre Barch sei steil und grie
Auersbarch du bist am hechsten.
Kaaner kaa do drieber gieh.
Singe dummer wie de Spatzle,
aus de Täler lauthals lallt's
|: Westarzgebirg ich gab dr alles,
Wernesgriener, Gott erhalts! :| (2x)
Unnre Schwamme kaa mr assn,
unnre Barch sei steiler, schie Heiler.
Fichtelbarch, Olymp des Ostens,
ah de Leit sei hier viel geiler.
Hert ner wie dr Rocco trellert,
weil mr Arzgebirgler sei.
|: Oberarzgebirg ieber alles
Weihrichkaarzlduft zieht Baarch nei. :| (2x)
3
Westarzgebirg, du bist es Greßte,
Wos ich kenn uff darer Walt.
Alle Toch do feir mr feste,
fahlt uns aah is net'sche Gald.
Kaaner kaa uns ze wos zwinge,
wir bleibn unnrer Haamit trei.
Lust'sche Liedle woll mr singe,
Allweil bleibn mr geizsch und frei.
|: Westarzgebirg, es muß gelinge,
Allweil bleibn mr geizsch und frei. :| (2x)
Annabarch, du Kleppelchester,
Scheimbaarch, Schlaate, Kirnggesicht.
Bernstaa,oh du Tor noch Behme driem,
heilig is uns anersch nischt.
In Cruttndorf singe Spatzle,
Ranzen do in Annebaarch.
|: Oberarzgebirch, aansches Arzgebirch,
Allwei bleim mr geil und frei :| (2x)
Während die Zöllner laut, tief und falsch ihre Hymne grölten, nahm Djeduschka Moros klammheimlich Abschied. Der Schrankenpfosten war total vermorscht und brach, als unser Weihnachtsmann mit seinem Wagen nach vorne preschte, ohne sich um das verärgerte Gebrüll in seinem Rücken zu kümmern.
Lied: I nu saht naus (Fan-Video auf Youtube)
Er ließ Schneeberg rechts liegen, da alle Wege in das uranverseuchte Bergstädtchen hermetisch von vermummten Paramilitärs abgeriegelt worden waren. NPD und Pegida zelebrierten dort gerade einen heidnisch- teutonischen Fackelmarsch, an dem die meisten aufgehetzten Einwohner grölend und schimpfend teilnahmen, während sich der Pfarrer mit dem treu gebliebenen Rest seines Kirchenvorstandes im Glockenturm der St. Wolfgangskirche verschanzt hatte und dort vergeblich auf einen Befreiungsschlag durch amerikanische Rosinenbomber wartete.
"Ein Glück, dass das unser guter alter Kempff-Wern nicht mehr miterleben muss", seufzte unser Weihnachtsbote frustriert.
Nahe des Filzteiches, vor einem ehemaligen Armeekomplex, hielt er an. Hier lebten seine bedürftigsten Sorgenkinder, für die er vorsorglich den Hauptteil seiner Geschenke reserviert hatte. Als er durchs verrammelte Eingangstor eintreten wollte, wurde er von einem bewaffneten Posten abrupt angehalten.
"Hier kimmt kaaner lebannig rei. Un deine Säck do muss ich erscht emol inspiziern. Sie kennten ja derwagn e IS-Selbstmordattentäter sei, su wie sie aussanne mit ihrm Rauschebart."
"Beim gegenwärtigen Zustand der Welt ist eine Rasur überflüssig", erwiderte der weise Mann betont trocken.
Lied: Bei mir bist du scheen
Nach langer Diskussion musste sich Djed Moros damit zufrieden geben, dass seine peinlichst durchsuchten Weihnachstpäckchen schließlich doch nach drinnen gereicht wurden.
Bald darauf wurde ein Fenster geöffnet, und fröhliche Musik drang nach draußen, ein kleines aber herzliches Dankeschön für die erhaltenen Gaben.
Lied: Wir sei ze zweet (Fan-Video auf Youtube)
Nahe des verruchten Bergfleckens Schortau schlich sich zur selben Zeit ein kleiner Mann, gehüllt in eine dick gefütterte dunkle Wattejacke, durch den winterlich geschmückten Wald. Auf dem Rücken trug er einen Rucksack, in dem er eine Handsäge und eine Axt verstaut hatte. Seine jüngst erstandene Motorsäge hatte er vorsichtshalber zu Hause gelassen. Unbefugte brauchten nichts von seinem heimlichen Tun hier draußen zu bemerken.
Er stapfte schnaufend durch den Schnee, hinter sich drei frisch gefällte zierliche junge Fichten schleifend. Eine für sich zu Hause und eine für seinen guten alten Freund Kurt Neubert, als kleines Dankeschön für dessen genialen Tip, sich doch in "Gottes freier Natur" gratis und ohne alle Nebenkosten zu bedienen, wo das Tangelzeug doch schließlich in Massen wachse und eigentlich bloß darauf warte, heimlich still und leise als Weihnachtsschmuck im Hause einer bedürftigen Erzgebirgsfamilie zu landen. Das dritte Bäumchen war für das Annel bestimmt, Kurts heimliches Liebchen seit vielen Jahren.
"Ah, unser Problemkind Dieter", murmelte der Djed Moros, der sich hinter einer dicken Eiche am Waldesrand versteckt hatte.
"Dem werde ich aber ein Schnippchen schlagen".
Lied: Dr Dieter (Fan-Video auf Youtube)
Er eilte flugs zurück zur Straße, die nach Schortau führte, um dem kleinen Fichtendieb zu Hause bei Weib und Kind zuvorzukommen. Schon fünf Minuten später klopfte er an die verwitterte Tür von Dieters reparaturbedürftigen Häuschen am Dorfrand, wo ihm von einer verhärmten Frau geöffnet wurde. Dieters Frau und Kinder ließen den späten Ankömmling nach anfänglichem Zögern natürlich eintreten und waren hoch erfreut über seine reichen Gaben. Man lud den Weihnachtsmann noch zu einem Gläschen Glühwein ein, was er sich gerne gefallen ließ, um auf die Rückkehr des verschwundenen Ehegatten zu warten. Es dauerte auch nicht lange, bis Dieter endlich nach Hause geschwankt kam. Er hatte einen tüchtigen Schwips, da ihm Neubert-Kurt noch eine Halbeliter-Flasche Braunen auf den Nachhauseweg mitgegeben hatte, um sich "gehörig Mut vor seiner sicher übel gelaunten Alten" anzutrinken. Der Weihnachtsmann begnügte sich mit ein paar sanften Schlägen seiner Rute auf Dieters Allerwertesten, nachdem dieser ihm vorher reuevoll versprochen hatte, seinen Freund Kurt im nächsten Jahr nur noch in dringlichen Geschäften zu kontaktieren und seinen Alkoholkonsum um die Hälfte zu reduzieren.
Lied: Sichtig (Fan-Video auf Youtube)
Hey Madl, sullt su net kumme
Versifft, besuffn, kaa kaum nuch stieh
Bi su verzweifelt un benumme
Wuhie sinst sullt ich dä nuch gieh?
Bekam paar Whisky driebn vum Kneiper
Ne Tiet Kokain vun de Kollegn
Un nuch drzu die bekifftn Weiber
Muss ich mich zu dir nieder legn
Sichtig, ja ich bi sichtig
Ho mr zerstert mei bissel Laabn
bi duch salber schuld,
dass ich su runner kumme bi
Un alles wos ich nu versuch,
werd nischt bringe irgendwie.
Wie 's um mich stieht, waßt de mei Madl
Half mr mei Leid ze ieberstieh
Brauch jedn Tog 'n Sack Tabletten
Sog mr, wie sull's bluß watter gieh?
Sichtig, ja ich bi sichtig
Ho mr zerstert mei bissel Laabn
bi doch salber schuld,
dass ich su runner kumme bi
Un alles was ich nu versuch,
werd nischt bringe irgendwie.
Hurtig lief Djed Moros zum Schlitten zurück, um seinem nächsten Problemfall, Anna Windig, einen Besuch abzustatten. Er traf sie alleine mit ihren beiden Kindern zu Hause hockend an. Sie war betrübt, da Kurt Neubert nicht, wie am Vorabend noch hoch und heilig versprochen, zum Hutzen bei ihr vorbeigekommen war. Der Bösewicht hatte nämlich die für Annel bestellte Fichte einfach in den Nachbargarten geschmissen, um zu seinem Ersatz-Liebchen Ulla Ficker zu eilen, für die er vor zwei Tagen heimlich einen Hasenbraten aus dem Nachbardorf organisiert hatte.
Lied: Is Annl
Obwohl das Annel als Hartz-IV-Empfängerin andauernd große Geldsorgen hatte, ließ sie es sich nicht nehmen, den Weihnachtsmann nach der Bescherung mit einer Flasche Bier zu bewirten, die sie stillschweigend aus dem Kasten entwendete, den Kurt "für alle Fälle" bei ihr deponiert hatte. Großväterchen Frost war tief beeindruckt von der zarten kleinen Frau, die trotz aller Kümmernisse und Schwierigkeiten, die ihr das Leben beschert hatte, nicht aufgab, sondern sich immer wieder aufrappelte, um für sich und ihre beiden Kinder wenigstens ein kleines Stückchen Glück in dieser brutalen und rücksichtslosen Welt zu erhaschen. Gerührt räusperte sich Nikolaus und gewährte Annel großmütig noch einen Extrawunsch. Doch die zuckte bloß die Schultern und flüsterte verlegen:
"Was ich brauch, des lässt sich net su afach in e Weihnachtspackel eipacken."
Lied: Was ich brauch' (CD "WaldesRausch", Fan-Video auf Youtube)
Gleich nebenan klingelte der Weihnachtsmann an der Wohnungstür von Klaus-Günther Kunze. Doch sein Besuch war vergebens, denn statt Klaus-Günther erschien der grimmig dreinblickende Hauswirt Walter am vorsichtig geöffneten Türspalt. Er war übel gelaunt, da er heute Abend ausnahmsweise einmal aufs Kreissägen verzichten musste.
"Und des 'ses när wissen, Sie sei schu dr zweete Ruperich, dar mich heit obnd drhaam stert. De Hilde ward glei de Polizei aruffn, wenn des Geteber net bal uffhert!"
Lied: Morgenstund' (Fan-Video auf Youtube)
"Ein zweiter Weihnachtsmann? Wie ist das denn möglich? Sollte das etwa mein guter alter Knecht Ruprecht gewesen sein, den ich vor einigen Jahren wegen Alkohloprobleme …?"
"Ruprecht, ja su kennt dr gehaßen habn. Un total besoffn war dar aa. Guckn se ner mol do nieber.
Dar bärtige Maa, dar dorten driebn an de Tür na pucht, des is dei versoffner Kollech, su ann misst'n se duch glei wagsperrn. Un nu hau gefälligst ab, ausländische Hausierer habn im Haus vun huchaaständign Arzgebirchern nischt ze suchen."
Djed Moros ließ den grantigen Walter stehen und eilte über die Straße, um seinen total betrunkenen ehemaligen Berufskollegen wieder auf die Beine zu helfen. Anscheinend war dieser gerade ein Opfer von Erdrotation und Gravitation geworden.
Das Maul halb voll gestopft mit Schneematsch, lallte Knecht Ruprecht:
"Himmeldonnerwatter, sie dreht sich ja doch!"
Mit einem kräftigen Ruck zog er den Unglücksraben aus dem Schnee und überreichte ihm seinen Sack, der nur noch einige geleerte Schnapsflaschen enthielt. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des stattlichen Hauses. Aus dem Hausflur erscholl lautes Grölen und Poltern sowie ein penetranter biergeschwängerter Geruch nach Schweinespeck, Wellfleisch und blutiger Wurst. Ein fetter stiernackiger, rotbeglatzter Mann trat heraus: der von allen Dörflern in der Öffentlichkeit höchst respektierte insgeheim jedoch von allen gefürchtete Großbauer und illegale Schnapsbrenner Dieter Neubert, ein wahrlich ebenbürdiger Bruder des verrufenen Kurt Neubert.
"Do bist de ja endlich, Rupperich! Kumm rei, die Sau muss heit nacht nuch zammgefrassn warn, un Bier un Schnaps sei aa nuch soot do.
"Hier drin hab' ich bestimmt nichts verloren", flüsterte entsetzt der Weihnachtsmann.
"Was ist nur aus meinen guten alten Mitarbeiter Ruprecht geworden, daß der sich gerade heute zur Heiligen Nacht mit solchen Trunkenbolden herumtreibt."