Stefan 'Sterni' Mösch
Enrico der Verlierer
Eine Erzgebirgstragödie
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Erst gegen Abend kehrte Gerda froh gelaunt von ihrem Ausflug in der Bezirksstadt nach Hause zurück. Wegen des schönen Wetters hatte sie nach dem Besuch beim Amt mit Rolf noch einen kleinen Spaziergang durch die City-Flaniermeile unternommen. Als es sich dieser danach nicht nehmen ließ, sie noch ganz herzlich in eine gemütliche Gaststätte einzuladen, um dort gemeinsam etwas Schmackhaftes zu essen – er kenne da ein ganz nettes Etablissement – da konnte sie ihrem aufmerksamen Begleiter diese Bitte natürlich auch nicht abschlagen. Enrico nahm seinem Freund, dem alten Charmeur, die trauliche Sorge um seine Frau keineswegs übel, war es doch seit langer Zeit das erste Mal, daß ihm Gerda beim Eintreten ins Wohnzimmer ein Küßchen auf die Wange verpaßte. Außerdem haßte er zutiefst das endlose Promenieren an luxuriös ausstaffierten Schaufenstern entlang, um die dort ausgestellten viel zu teueren neuesten Modeschlager wenigstens mit gierigen Blicken zu verschlingen. Rolf hatte diese schwierige Aufgabe mutig auf sich genommen, nebst der Gaststättenrechnung, bei der er sich sicherlich auch nicht hatte lumpen lassen.
Rolf kam noch für eine Weile mit hoch in die Wohnung. Er hatte eine Flasche Wein dabei, die man bei einem kleinen Schwätzchen zum krönenden Abschluß des Abends noch leeren wollte, eine Flasche französischen Rotwein, auf dessen auserlesene Qualität Rolf in einem fort schwur. Enrico kam der edle Rebentropfen, der ihm kredenzt wurde, ziemlich herb vor, doch sagte er nichts, um seinen Freund nicht zu kränken. Schließlich bekam dieser jeden Monat zehn Flaschen der auserlesenen Marke direkt ins Haus geliefert, seitdem er von einem Weinvertreter besucht und zu einer Weinverköstigung eingeladen worden war. Seither achtete Rolf stets darauf, bei jeder sich bietenden Möglichkeit das Gesöff an den Mann zu bringen, sei es auf Arbeit, unter Freunden oder als Werbegeschenk für treue Gönner seiner Firma.
In dieser Nacht schlief Enrico seit langem wieder einmal im Ehebett neben seiner Gemahlin, die ihm noch schnell einen Gute-Nacht-Kuß – diesmal sogar auf den Mund – gegeben hatte, ehe sie weintrunken zu schnarchen anfing. Er selber fand noch lange nicht zur Ruhe, sondern gab sich seligen Gedanken über ihre gemeinsame Zukunft hin, die ihm nun endlich wieder etwas rosiger erschien. Wenn Gerda nur wollte, konnte sie richtig nett sein, stellte er befriedigt fest. Wie lange schon hatte er auf ein wenig Zärtlichkeit von ihrer Seite gehofft, bis es heute abend endlich wieder einmal geklappt hatte. Der Hausfriede schien durch Rolfs Hilfe wieder hergestellt. Angesteckt von der guten Laune seiner Frau, fühlte er frische Lebenskräfte in seinem Herzen aufkeimen. Er spürte sich plötzlich von einem Optimismus ergriffen, der all die Sorgen und Probleme, die womöglich in Zukunft auf sie lauern mochten, mit einmal überschaubar und überwindbar erscheinen ließ. Irgendwie würden sie es doch noch packen, sich wieder aufzurappeln, um den ihnen zustehenden geachteten und nützlichen Platz in der Gesellschaft wieder einzunehmen. Sie waren ja gerade mal in den besten Jahren, die Kinder würden bald aus dem Gröbsten heraus sein, und dann …
Enrico küßte seine Frau behutsam auf die Wange, ganz vorsichtig, um sie nicht aus ihren Träumen zu erwecken, dann schmiegte er sich ganz sacht an ihre Seite, von wohligen Gedanken erfüllt, ihre lang entbehrte körperliche Nähe genußvoll einatmend. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis auch er von wohligem Schlummer übermannt wurde, der sein so lange geplagtes Gemüt in süße Träume wiegte.