Stefan 'Sterni' Mösch
Ein Weihnachtspäckel aus Berlin
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Es war noch dunkel auf der Straße, als ich mich in aller Herrgottsfrühe auf den Weg machte, weil eine kommunal organisierte Beleuchtungsfirma für Großberlin nicht mehr existierte und die Bewohner meines Kiezes noch immer keine konsensfähige Lösung gegen dieses aufklärungssfeindliche Problem gefunden hatten und stattdessen dazu überggegangen waren, das neue Jahr herbeizusehnen, das sicherlich längere Beleuchtungszeiten mit sich bringen würde - wenigstens für eine Zeitlang. Doch die Dunkelheit um mich herum machte mir nur wenig aus, da es in meiner erzgebirgischen Heimatgemeinde Zschorlau schon seit vielen Jahren gang und gebe ist, die Straßenlaternen während der Nacht abzuschalten, zum einen, um den krakeelenden Dorftrinkern das Leben schwer zu machen, zum anderen aber auch, um den Karnikeldieben aus nah und fern das nächtliche Geschäft zu erleichtern.
Die „Inshallah“-Geschäftsfiliale entpuppte sich als eine alte Betriebsruine, die provisorisch eingerichtet worden war und eher einer Karawanserei aus den „Märchen aus tausendundeiner Nacht“ als einem modern gestylten Service-Center glich. Bereits am dritten Schalter in der spärlich beleuchteten Empfangshalle traf ich auf einen bärtigen Herrn mit Turban, der der deutschen Sprache halbwegs mächtig war und nach einem halbstündigen Gespräch über die Suren Mohammeds endlich bereit war, mein Weihnachtspaket in Empfang zu nehmen.
Schmunzelnd meinte er beim Empfang:
„Da haben sie aber Glück, dass der Ramadan in diesem Jahr bereits im September zu Ende gegangen ist, sonst wäre ... Aber was sehe ich denn da? Diese Postleitzahl kann doch unmöglich aus unserem Spezial-Sende- und Missionsgebiet Berlin-Brandenburg stammen?“.
Er kramte eine Weile unter seinem Empfangsschalter herum und brachte dann einen fetten Schmöker zum Vorschein, den er auf muselmanische Art von hinten her zu durchforsten begann.
„Da haben wir das Malheur!“, ließ er mich schließlich nach fünfzehn Minuten wissen, nachdem er ungefähr bis Seite 8 des Schmökers vorgedrungen war, sich dabei verlegen seinen Hinterkopf kratzend.
„Ihr Empfangsort mit dem schier unaussprechlichen Namen Zsch-Zsch-Schtsch-Chr-Orlau liegt ja in AWE, dem Autonomen Weihnachtsgau Erzgebirge.“ „AWE“, die neue amtliche Abkürzung für meinen Heimatkreis, wurde von dem bereits zu solch früher Stunde zu dummen Späßen aufgelegten Schaltergewaltigen genüsslich als „Auuuweeee“ prononciert, wohl um mir anzudeuten, dass dieser vor kurzem durch den Auer Bürgermeister und selbst ernannten erzgebirgischen Autonomiechef so schwer erkämpfte regionale Ehrentitel mir noch gehörige Probleme bereiten könnte.
„Dafür können Sie natürlich keinesfalls unseren Sondertarif beanspruchen. Da unten herrschen ja inzwischen ziemlich chaotische Zustände, da muss ich erst mal meinen Chef fragen.“
Er verschwand durch das Hintertürchen, während ich immer nervöser werdend in einem Fort auf meine Uhr stierte. Es dauerte eine weitere Viertelstunde, ehe er endlich mit einem frohen Lachen auf dem Gesicht in seine Kundenbox zurückkehrte.
„Da haben Sie aber wirklich großes Glück, denn das Erzgebirge wird von uns noch bis zum 31.12. beliefert werden. Dann ist aber endgültig finito. Ein 120-prozentiger Aufschlag ist natürlich fällig, wenn …“
„Was?! 120 Prozent? Und deshalb bin ich so zeitig aus dem Bett gekrochen!“, wagte ich lauthals zu protestieren.
„Aber lassen Sie mich doch ausreden, … wenn Sie nicht unseren Sonder-Luftpostservice via Moskau nutzen wollen.“
„Und der ist billiger?“, fragte ich inzwischen misstrauisch geworden.
„Aber natürlich. Kostet nur ein Drittel des überhöhten Sonderpreises für abtrünnige Provinzen, die noch nicht zum sunnitischen Glauben konvertiert sind. Sie dürften aber in ihrem Päckchen keine leicht verderblichen Waren zu transportieren versuchen.“
„Mein Stollen hält sich mindestens ein halbes Jahr, das dürfte ja wohl genügen“, ließ ich den Schalterbeamten siegessicher wissen, ihm mein Päckchen über die Rampe zuschiebend.
„Das macht dann 15 Euro 99. Bis zum Februar werden Ihre Empfänger ganz sicher ihre Sendung erhalten haben.“
Er war gerade im Begriff, sich mein Päckchen zu schnappen, doch gelang es mir im allerletzten Augenblick gerade noch, es ihm wieder aus seinen gierig zupackenden Händen zu entreißen.
„Was soll das denn heißen?!“, rief ich ganz plötzlich ernüchtert. „Sie wollen mir doch nicht sagen, dass dieses kleine Päckchen zwei Monate brauchen wird, um die knapp 300 Kilometer bis ins Erzgebirge zurückzulegen? Und dazu zu einem solchen unverschämten Schweinepreis!“
„Ja, das soll es wirklich heißen - und lassen Sie gefälligst ihre unreinen Tiere aus dem Spiel. Doch das liegt nicht an uns, sondern an den Russen, die mit ihren Privatisierungsmaßnahmen noch nicht die selben Fortschritte gemacht haben wie wir hier in Deutschland.“
„Na hören sie mal!“, wurde ich nun langsam grantig, seinen animalischen Vorwurf geflissentlich überhörend. „Das ist aber ein Schweine-Service bei ihnen!“
Der Schalterangestellte machte große Augen, presste seine rechte Hand aufs Herz, als leide er unter Herzfrequenzstörungen - und schüttelte dann tief traurig glotzend seinen Kopf.
„Das möchte ich aber überhört haben“, räusperte er sich verlegen nach einer Weile, um dann behutsam-vorwurfsvoll lächelnd zu bemerken. „Wir sind nämlich eine anständige und saubere Firma. Und Schweinefleisch transportieren wir sowieso nicht wegen unserer strikten Glaubensvorschriften.“
Und etwas lauter werdend und strenger formuliernd fügte er hinzu: „Wollen Sie nun, dass wir ihre Paketsendung befördern, oder wollen wir es doch lieber bleiben lassen?“
Wie ein Ertrinkender, der nach einem letzten rettenden Strohhalm greift, nickte ich jetzt resigniert – da ertönte aus dem Hintergrund plötzlich ein lauter scheppernder Gong, der einige Sekunden lang durch alle meine Gehörgänge irrte und dabei fast um eine Haaresbreit meinen Gleichgewichtssinn aus der Balance geworfen hätte. Was hatte denn dieser Unfug zu bedeuten? Und wer wagte es da, meinen ungemein sensiblisierten musikalischen Hörsinn durch eine solch unmögliche Frequenz zu beleidigen? Der Serviceangestellte nutzte meinen momentanen Schockzustand, um erneut nach meinem Paket zu greifen, dabei entschuldigend mit den Achseln zuckend.
„Da haben wir die Bescherung. Es hat gerade 7 Uhr 30 geschlagen. Das bedeutet, dass unser Happy-Hour-Angebot ab sofort keine Gültigkeit mehr besitzt. Sie haben nunmehro also wieder den Normaltarif von 31 Euro 98 plus AWE-Sonderaufschlag zu bezahlen. Eine Quittung werde ich Ihnen natürlich für einen weiteren kleinen Aufschlag von zehn Prozent gerne ausdrucken.“
„Hiergeblieben, Canaille!“, heulte ich da voller Grimm auf. Trotz meiner überschüssigen Pfunde sprang ich wie ein junges, wild gewordenes Fohlen über die Schalterbarriere, fasste dem bleich und erstarrt an der Stelle ausharrenden Mann an die Krawatte und begann ihn wutentbrannt zu würgen. Er begann zu gurgeln und wurde allmählich blau im Gesicht. Sein Besorgnis erregendes Aussehen beruhigte mich allmählich. Ich schnappte mein Päckchen und ergriff schnellstmöglich die Flucht, als wäre mir eine Meute Blut triefender und Rache geifernder Sarazenen auf den Fersen.